Die Flexible Ambulante Erziehungshilfe (FAE) betreut Jugendliche in schwierigen Lebenslagen. Dass solche Krisen durch Umwelteinflüsse verstärkt werden können, zeigt die aktuelle Corona Situation. Der Bedarf an Unterstützung ist höher denn je.

Durch die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus passiert es schnell, dass aus Isolation Einsamkeit wird. Gerade Jugendliche, die in ihrer Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung auf das Soziale Miteinander von Gleichaltrigen, die sogenannte „Peergroup“, angewiesen sind, treffen diese Beschränkungen hart. Vor allem, wenn zusätzlich noch ganz andere Probleme im Raum stehen.

Wie ist es in diesen Zeiten also überhaupt möglich, ohne den direkten Kontakt zu seiner Peergroup oder allgemein zu Gleichaltrigen ein Miteinander zu erleben und zu fördern?

Zu diesem Zweck haben sich Betreuende und Jugendliche das Videospiel „Minecraft“ zu Nutze gemacht. Minecraft ist ein sogenanntes „Open World“ Spiel, welches dem Spieler kein konkretes Ziel vorgibt sondern diesem vielmehr abverlangt, sich seine eigenen Strukturen zu schaffen. Dies ermöglicht enorm viel Raum für Kreativität und Entdeckungsfreude sowie eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten mit der Spielwelt als auch unter den Spielern. Daran anlehnend wurde ein Gemeinschafts-Projekt entwickelt, welches nicht nur den mangelnden sozialen Kontakt der Jugendlichen kompensieren, sondern auch gezielt die sozialen und personalen Kompetenzen sowie die Medienkompetenzen der Teilnehmenden adressieren und fördern sollte.

Get Real FAE - Minecraft Stein

Der Rahmen: Es besteht ein- bis zweimal wöchentlich der Zugang zur Spielekonsole, die der teilnehmende Jugendliche zusammen mit seiner betreuenden Fachkraft eine begrenzte Zeit (max. 1,5 Stunden/Woche inklusive Vor- und Nachbereitung) lang nutzen kann.

Der Auftrag: Für die Jugendlichen erschien zunächst simpel: Baut eine funktionierende Dorfgemeinschaft auf. Die Motivation und die Ideenfindung stellten für die Jugendlichen keinerlei Hürde da. Eine gemeinsame Basis mit Infrastruktur sowie die Versorgung der Gemeinschaft mit notwendigen Rohstoffen wurden schnell sichergestellt. Die eigentliche Schwierigkeit lag in der Kommunikation bzw. gemeinsamen Absprachen. Schnell wurde klar, dass Mittel und Wege gefunden werden mussten, eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, ohne, dass die Teilnehmenden zur selben Zeit an der Spielekonsole waren. Ob das Whiteboard im Medienraum zur Auftragsgestaltung oder beschriebene Schilder im Spiel mit Kurzbotschaften, die Herangehensweisen waren vielfältig.
Für wichtige Entscheidungen und Zielbestimmungen und Rahmenbedingungen wurde ein Dorfrat ins Leben gerufen, der in einem zweiwöchigen Zyklus online zusammenkommt. Zusätzlich werden verschiedene Ämter gewählt und über etwaige Regeländerungen oder Zusätze abgestimmt.

Die Erfolge im bisherigen Verlauf des Projektes sprechen für sich. Über die Kommunikation hinaus ist zwischen den Teilnehmenden ein Gemeinschaftsgefühl entstanden, das auf gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung beruht. Vor den Terminen an der Konsole werden Pläne gemacht, sich Fragen an andere überlegt, Hinweise und Tipps hinterlegt und sogar kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten im Spiel erwiesen.

Doch nicht nur die sozialen, sondern auch die personalen Kompetenzen der Teilnehmenden entwickeln sich weiter. Wie gehe ich mit Frust um, wenn etwas nicht beim ersten Mal klappt? Wie kann ich eine große Aufgabe in viele kleine Schritte umwandeln? Was kann ich selbst besonders gut und wie kann ich mich damit erfolgreich einbringen? Wie kann ich zum Ausdruck bringen, wenn mir etwas nicht passt? Diese Fragen stellen sich die Jugendlichen im Rahmen des gemeinsamen Projektes an verschiedenen Stellen. Ferner werden auch die Medienkompetenzen der Jugendlichen gefördert, indem deren oftmals stark ausgeprägte Medienaffinität in einen produktiven Rahmen eingebettet wird. Durch die kleinschrittigen Ziele werden die Jugendlichen in der effektiven Nutzung und Strukturierung der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sowie im möglichen Aufschub akuter Bedürfnisse geschult. Die Mediennutzung ist ferner an Bedingungen in der Realität geknüpft und orientiert sich z.B. am schulischen Lernbedarf oder sowie der Umsetzung eines körperlichen/sportlichen Ausgleichs. Somit soll der Medienkonsum quantitativ wie qualitativ eingepegelt werden.

Von diesem umfassenden Kompetenzentwicklungsprozess profitieren die Jugendlichen nicht nur in der digitalen Gemeinschaft, sondern auch in der analogen Welt. Längst sind Vereinbarungen getroffen und Pläne geschmiedet, welche Projekte auch „offline“ in der Zeit nach den Pandemie-Beschränkungen von der Dorfgemeinschaft umgesetzt werden.

Untermauert wurde unser Projekt durch einen Fachzirkel über Zoom, an dem 15 Fachkräfte teilnahmen. Eike Westenfelder, aus der Tagesgruppe Robinson, der sich bereits in seiner Master These mit diesem Thema beschäftigte und sein Wissen bereits an anderen Fachtagen weitergegeben hat, moderierte diesen Rahmen. Er berichtete nicht nur über den theoretischen Hintergrund sondern auch die gemachten Erfahrungen in der Tagesgruppe Robinson. So entstand ein schöner Austausch, der im Herbst wiederholt werden soll.

Im Folgenden ein paar Stimmen zum Projekt:

  • 14: „Es ist schon cool, wenn ich anderen einmal etwas zeigen kann.“
  • 12: „Zu Hause zocke ich eher für mich, aber hier gehöre ich zu einem Team.“
  • 13: „Ich finde es toll, dass ich zwar die Anderen nie treffe, aber wir doch was zusammen
    machen.“
  • 14: „Ich freue mich auf den Dorfrat über Zoom, um dann mal gemeinsam zu planen und die anderen
    zu sehen“