Afrika für Fortgeschrittene

Gerolf Heberling, Beisitzer im Vorstand des AWO Kreisverbandes Karlsruhe-Stadt e.V., verbrachte fast 7 Wochen im DAOS Children Home in Likoni, Kenia – ein Projekt, für das 2016 die AWO Karlsruhe und das AWO Jugendwerk Karlsruhe die Patenschaft übernommen haben. Er berichtet von seinen Erfahrungen und Eindrücken, die er vor allem in der ersten Zeit in Likoni mit den Kindern und seinem Umfeld sammeln konnte:

Meine Kenia-Mama heißt Evalyne und ist so jung wie mein jüngster Sohn. Sie hat 4 Kinder zu Hause und noch einige außerhalb in Universitäten und in Ausbildungen verstreut. Eines der Kinder ist einfach so hängengeblieben, als dessen alleinstehende Mutter, eine Nachbarin, gestorben ist. Und dann ist da noch das runde Dutzend im DAOS-Haus, in Größen von 1,01 m bis 1,57 m – 9 Mädchen und 4 Jungs. Allen ist eines gemeinsam: sie haben morgens, mittags und abends Hunger. Mama Evalyne kümmert sich darum und kocht auf ihrem 2-Flammen-Herd. Manchmal sehe ich andere „Mamas“, die auf dem Boden im DAOS-Haus den Kohl in riesige Schüsseln schneiden. Ein Kühlschrank lohnt nicht, der verbraucht zu viel Energie. Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Bananen und mehr gibt es täglich alle paar Meter an kleinen Straßenständen.

Luisa und Evalyne machen Chapati*Luisa und Evalyne machen Chapati

Ein bis zwei Tage sind bisher pro Woche fürs Wäsche waschen eingeplant. Selbstverständlich ohne Waschmaschine. Wer denkt, dass die Wäsche wenigstens schnell in Äquatornähe trocknet, der hat nicht mit der Regenzeit gerechnet. An manchen Tagen schüttet es 10 Mal wie aus Kübeln und ebenso oft scheint die Sonne. Dann verwandeln sich die staubigen Straßen in Seenlandschaften. Die Motorrad- und Tuktuk-Taxen halten trotzdem unbeirrt den öffentlichen Nahverkehr aufrecht. Nur die Preise steigen leicht.

Öffentlicher Nahverkehr auf der Hauptstraße*Öffentlicher Nahverkehr auf der Hauptstraße

Was hat mich geritten, dass 7 Wochen mitzuerleben? Vielleicht einfach nur die Neugier und die Lust, bei diesem tollen Projekt mitzuwirken. Luisas Begeisterung (Anm. d. Red. – Luisa Frick, Initiatorin des Projektes) und meine Überzeugung, dass Ausbildung die beste Voraussetzung für Zukunftschancen ist. Zeit habe ich inzwischen mehr als genug und statt über Flüchtlinge zu jammern oder zu schimpfen, kann ich für ein bisschen Starthilfe ins Leben sorgen. Safari oder Urlaub am Strand sind nicht mein Ding. Afrikaerfahrung habe ich. Und die Einführung durch Luisa hat es mir leicht gemacht. Während meines Aufenthaltes ist das Guesthouse meine Unterkunft und für mich ein Rückzugsort, wenn ich vom Schlamm, Dreck, Abfall, von Plastikflaschen und Essensresten, dem Lärm und Gestank, den Abgasen und den unzähligen Menschen genug habe.

Fächerpalme vor Bungalow*Fächerpalme vor Bungalow

Zwischen Guesthouse und DAOS-Haus liegen knapp 10 Minuten mit einem Motorrad-Taxi oder 25 Minuten Fußweg. Alle paar Meter gibt es kleine Geschäfte. Die Leute sind freundlich, freuen sich über dein „Jambo“ (Hallo), fragen „how are you“ und verkaufen dir gerne etwas. Gehandelt wird praktisch nicht, aber es werden auch keine Mondpreise verlangt. Nie hat jemand versucht, mich zu betrügen. Ich bin kein Tourist, sondern nur der einzige Weiße weit und breit. In vier Wochen habe ich keinen zweiten gesehen.

Verkaufsstand am Ferry-Market*Verkaufsstand am Ferry-Market

Beim Schreiner bekomme ich die gewünschte Leiter nach meinem Entwurf, nicht nur sofort gesägt und genagelt, sondern bei Bedarf auch ins 100 m entfernte Haus getragen. Serviceluxus, an den man sich bei uns gar nicht mehr erinnert. Zu tun gibt es immer genug: Tische stabilisieren, Regale bauen, Wände streichen, Lampen reparieren, Türen versetzen und vieles mehr. Hammer, Nägel und Fuchsschwanz reichen für alles. Schrauben, Bohrer, Stichsäge, Schraubzwingen – was ist das? Das Holz ist so hart, dass sich die Nägel vor Anstrengung krümmen und dann weder ganz reinzuschlagen noch herauszuziehen sind. Wenn Farbe übrig ist, wird im Hof ein Hüpfspiel eingezeichnet. In der Schule übernehme ich während meiner Anwesenheit zweimal pro Woche drei Vorschulklassen: einmal Musik, einmal Kunst. Ich quäle die 60 Kleinen mit deutschem Kinderlied und lasse sie mit Acrylfarben Phantasie entdecken. Ohne Unterstützung der drei Lehrerinnen hätte man mich nach einer Stunde Geschrei und Begeisterung erledigt raustragen müssen.

Die erste Malstunde*Die erste Malstunde

Am liebsten bin ich aber bei meinem Dutzend DAOS-Kindern. Wir spielen Uno, malen oder spielen mit meinem mitgebrachten Tablett. Am größten ist die Begeisterung, wenn Kenyan Hip-Hop oder Rap in größtmöglicher Lautstärke von YouTube zum Tanzen und Auspowern abgespielt wird. Wobei das Video genau beobachtet wird, um sich so zu bewegen wie die Stars.

Kids mit Tablet*Kids mit Tablet

Wenn es nicht regnet gehen wir jeden Sonntag zum Strand des Indischen Ozeans, der nur ein paar Hundert Meter entfernt ist. Toben, Spritzen, Tauchen, Sandburgen und Kanäle bauen, alles worin sich Kinder der ganzen Welt nicht unterscheiden.Eine Beach-Schaumwelle im Indischen Ozean *Eine Beach-Schaumwelle im Indischen Ozean

Ein Schattenbaum*Ein Schattenbaum

Ich hatte mir vorgestellt, einmalig nach Likoni zu fliegen um Neues zu sehen, zu erleben, aktiv bei diesem begeisternden und sinnvollen Projekt mitzumachen. Darüber hinaus haben mich Freunde und Verwandte in der Heimat so tatkräftig unterstützt, dass in einer Woche das Geld zur Anschaffung einer Waschmaschine zusammenkam, die den Frauen vor Ort jetzt nicht nur zwei Tage pro Woche einspart, sondern auch das Arbeiten am Boden in Waschschüsseln. Tausend Dank!

Ich spüre viel Wehmut, alle bald verlassen zu müssen. Ob ich es wirklich schaffe, nicht mehr herzukommen?

Gerolf Heberling