Wenn Jugendliche schlechte Noten haben oder gar nicht mehr zur Schule gehen, reicht Nachhilfeunterricht oft nicht aus. Entscheidend sind Menschen, die wirklich hinschauen, verlässliche Strukturen, die auffangen, sowie maßgeschneiderte Angebote, die den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht werden. Genau das leistet unsere Einrichtung „Die 2. Chance“: Sie gleicht Bildungsdefizite aus und gibt jungen Menschen Halt, deren Lebenswege längst nicht mehr gradlinig verlaufen. Beim 16. Karlsruher Präventionstag wurde sichtbar, wie solche präventiven Maßnahmen wirken. Nicht abstrakte Zahlen standen im Mittelpunkt, sondern die persönlichen Geschichten von Theresa Winkler* und Omar Dibase. Sie zeigten, wie Vertrauen und Unterstützung jungen Menschen neue Perspektiven eröffnen können.
Theresa Winkler war 14 Jahre alt, als sie drohte, durchs Raster zu fallen. Zunächst schwänzte sie die Schule, dann saß sie zwar im Unterricht, war aber innerlich längst abwesend. Der Alltag war zu schwer, die Sorgen zu groß. Vor rund 500 Zuhörer*innen erzählte sie im Tollhaus Karlsruhe von ihrem Wendepunkt: „Ich brauchte nicht nur Nachhilfe, sondern auch jemanden, der ein offenes Ohr für mich hatte.“ Ihr Lehrer machte sie auf die Einrichtung „Die 2. Chance“ aufmerksam. Zwei Plätze waren frei – Theresa griff zu. In der Einrichtung geht es um mehr als nur um Lernlücken. Durch Coaching, Elternarbeit und soziale Unterstützung finden Jugendliche einen Raum, in dem sie wieder Vertrauen zu anderen und zu sich selbst aufbauen können. Für Theresa bedeutete das: Schulwechsel, Ausbildungsplatzsuche, Abschluss und die erste eigene Wohnung. Heute steht sie mit beiden Beinen im Leben.
Omar Dibase kam als unbegleiteter Jugendlicher aus Gambia nach Karlsruhe – einem der 54 Länder Afrikas, etwa so groß wie Rheinland-Pfalz. Vier Monate nach seiner Ankunft fand er einen Platz in einer AWO-Wohngruppe für junge Menschen, die wie er ohne Familie geflüchtet waren. Seine frühere Betreuerin Claudia Schaube erinnert sich: „Viele dieser Jugendlichen hatten Schlimmes erlebt, aber wir sahen vor allem ihre Stärke und suchten gemeinsam Wege, wie sie hier Fuß fassen können.“ Nach den ersten herausfordernden Monaten fand Omar Dibase Schritt für Schritt seinen Platz in der neuen Umgebung. Was damals mit unsicherem Blick und großen Fragen begann, entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte. Inzwischen sind einige Jahre vergangen: Omar Dibase lernte Deutsch, machte eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer in einem unserer Seniorenzentren, arbeitet dort heute in Vollzeit, lebt in einer eigenen Wohnung und hat eine Familie gegründet.
Beim Präventionstag im Tollhaus wurde deutlich, wie essenziell die Unterstützung durch Fachkräfte und Organisationen ist, um solche Erfolgsgeschichten möglich zu machen. Neben Theresa Winkler und Omar Dibase berichtete ein Team von Fachkräften, das die Jugendlichen auf ihrem Weg begleitet hat: Firdevs Kaplaner. Sachgebietsleitung für den Bereich Bildung und Integration bei der AWO Karlsruhe, Heike Kumm und Claudia Schaube. Der wissenschaftliche Direktor des Essener Instituts für Kinder- und Jugendhilfe, Prof. Dr. Michael Macsenaere, fasste zusammen: „Hier wird Haltung zur gelebten Praxis.“ Er unterstrich, dass erfolgreiche Prävention auf den Ressourcen der Jugendlichen aufbauen müsse – und nicht auf ihren Defiziten. Die Grundpfeiler dieser Arbeit seien Beziehung, Verlässlichkeit und Vertrauen. Firdevs Kaplaner hob hervor, dass der Nachhaltigkeitserfolg deutlich sichtbar ist: So haben in diesem Jahr 17 Jugendliche, die teilweise über einen langen Zeitraum kein Schulangebot mehr wahrgenommen hatten, ihren Abschluss geschafft.
Beim „Markt der Möglichkeiten“ konnten sich die Teilnehmenden des Präventionstags über vielfältige Hilfs- und Beratungsangebote informieren. Die bunte Mischung aus lokalen Akteur*innen bot den Besucher*innen die Chance, Einblicke in unterschiedliche Angebote zu erhalten, Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. Abgerundet wurde der Präventionstag durch viele praxisnahe Workshops, die von erlebnispädagogischen Sozialkompetenztrainings unserer Einrichtung EPA über diskriminierungssensible Jugendarbeit bis hin zur Suchtprävention reichten. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft des Polizeipräsidiums Karlsruhe, des Landkreises und der Stadt Karlsruhe.
*Name zum Schutz der Person geändert
Oktober 2025





