„lch musste los, meine fünfundsiebzigjährige Mutter umarmen und küssen“ – mit diesem Satz begann das erste Treffen der neuen Shared Reading-Gruppe, unter der Leitung von Christina Ulmer, in unserem Seniorenzentrum Karl-Siebert-Haus. Shared Reading ist eine Methode, um gemeinsames Lesen und das Sprechen über Literatur, das Leben und die eigenen Geschichten im geschützten Raum fiktionaler Texte möglich zu machen.

Der Satz stammt aus einer Kurzgeschichte von Fariba Vafi, einer iranischen Autorin. Gemeinsam begegneten die Teilnehmer*innen einer Frau, die sich plötzlich fragte, ob sie ihrer Mutter genug (körperliche) Zuneigung geschenkt hat. Dabei erfuhren sie, wie schwer es sein kann, Grenzen in einer Beziehung zu überwinden.

Es wurde auch von den verschiedenen Perspektiven auf Verhältnisse zu den eigenen Müttern oder anderen uns nahestehenden Menschen berichtet. In den Pausen wurden Eindrücke, Erinnerungen und Empfindungen wach gerufen, die vereinzelt ausgesprochen, oder sogar mit einem Lied den anderen mitgeteilt worden sind.

Einige der letzten Worte, die gehört wurden, fassen das Gespräch und die Gedanken dieser Session zusammen, sie sind von Rose Ausländer: „Wir gehen | jeder für sich | den schmalen Weg im Takt unseres Herzens, | als seien wir beschützt, | solange die Liebe | nicht aussetzt.“